Viele Arbeitsunfälle in der Kranken- und Altenpflege werden durch aggressive Patienten verursacht.
Das Thema Gewalt in der Pflege erfordert eine differenzierte Sichtweise. Denn bei vielen Übergriffen ist nicht der Patient, sondern die Pflegekraft das Opfer, so die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), bei der zahlreiche Pflegekräfte gesetzlich unfallversichert sind.
Insgesamt sind in der Pflegebranche bei 23 Prozent aller gemeldeten Arbeitsunfälle Menschen die Unfallauslöser und oft handelt es sich um aggressive Übergriffe von Patienten. Besonders gefährdet sind Pflegekräfte, die sich um alte oder verwirrte Menschen kümmern, wie Beschäftigte in Altenheimen und Werkstätten für Behinderte. Betroffen sind vor allem Männer: Zwar ist die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in Altenheimen weiblich, die männlichen Kollegen werden aber mehr als doppelt so oft angegriffen. Entgegen der landläufigen Meinung werden dagegen aus der Psychiatrie nur wenige Übergriffe von Patienten gemeldet. Die gemeldeten Unfälle, bei denen es zu Verletzungen gekommen ist, sind nur die Spitze des Eisbergs, so BGW-Diplom-Psychologin Annett Zeh. Man kann davon ausgehen, dass verbale Aggressionen von Patienten wie Beleidungungen, Bedrohungen und Beschimpfungen weitaus häufiger sind. Auch wenn manche Krankheiten wie die Alzheimer Demenz zu unberechenbaren Aggressionsausbrüchen führen können, ist Gewalt doch immer auch ein zwischenmenschliches Phänomen. Es ist ein bestimmtes Klima, in dem es zu Übergriffen kommt, so Annett Zeh. Dabei spielt der Umgangston im Heim eine große Rolle, ob die Bedürfnisse der Patienten berücksichtigt werden oder ob eine strenge Hausordnung gilt. Wird Gewalt mit Gegengewalt beantwortet, werden aggressive Patienten zum Beispiel mit Medikamenten ruhiggestellt oder fixiert, dann schaukelt sich die Gewaltspirale oft hoch. Ein wichtiges Mittel gegen Gewalt ist eine gut funktionierende Kommunikation im Pflegeteam. Aggressive Patienten sollten systematisch beobachtet und die Erfahrungen im Team reflektiert werden, um eine tragfähige Strategie für den Umgang mit diesen Patienten zu finden. Die BGW empfiehlt außerdem, Pflegeeinrichtungen mit speziellen Personenrufanlagen auszustatten, damit Betroffene im Bedarfsfall sofort Hilfe rufen können. Ganz wichtig ist es, die Pflegekräfte mit ihren Erfahrungen nicht allein zu lassen, so Annett Zeh. Die Heime sollten mit dem Thema offen umgehen und Unterstützung bieten. Die BGW entwickelt derzeit Seminare zum professionellen Umgang mit Gewalt und Aggressionen und kann Opfern von Übergriffen psychologische Hilfe gewähren.